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FURORE #1

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Ausgabe #1

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Die

Macht

der Frames

 

LESEDAUER

7 Minuten

ESSAY

Jonathan Auer

LESEDAUER

7 Minuten

15 Minuten

Reden wir über das Klima. Über den Klimawandel.
Oder doch eher über die Klimakrise. Katastrophe?
Veränderung? Globale Erwärmung? Erhitzung?
Ja, was denn nun ...?

E

Eine entscheidende Frage, die wir als Klimaaktivist*innen uns stellen müssen, ist: Wie reden wir über das Klima? Na klar, der »Klimawandel«, »the climate change«, das ist unser Thema, da-rum geht es uns. Aber wer hätte gedacht, dass die Etablierung des Begriffs auf den erzkonservativen US-Politikberater und Klimakrisen-Leugner Frank Luntz zurückgeht. Luntz nutzte Anfang 2000 den Begriff für eine politische Strategie der Repu-blikaner, die die Debatte um Umweltfragen zerschlagen sollte. 2002 riet er der republikanischen Partei in einem internen Memo, die menschgemachte Klimakrise zu leugnen und das Wort »climate change« zu etablieren, weil »climate crisis« oder gar »climate emergency« in seinen Ohren viel zu dringlich, angsteinflößend und zum Handeln auffordernd klang.

Klima solle weiter das sein, was man automatisch mit Urlaub, Südsee und Palmen in Verbindung bringt.

Und Wandel, das sei doch sowieso immer was Gutes – so der Gedankengang. Es solle das Positive sein, was den Menschen in den Sinn kommt, nicht die katastrophalen Folgen der globalen Erhitzung, die schon heute Realität sind. Luntz Strategie war nicht nur ein sehr cleverer Schachzug, um die eigenen Inter-essen – wie z.B. die Stärkung von Wirtschaft und fossilen Ener-gieträgern – weiter zu unterstützen, sondern ist auch eine Wis-senschaft für sich. Eine Wissenschaft, die Luntz meisterhaft beherrscht. Die Wissenschaft des Framings.

Was die sogenannten Frames sind, dafür hat Frank Luntz das beste Beispiel geliefert: Mit der Etablierung des Wortes »Klimawandel« hat er es erfolgreich geschafft, die aktuelle De-batte so zu steuern, dass die negativen Aspekte der Klimaka-tastrophe beinahe gar nicht betont werden und die Gefahren für Planet und Mensch im Hintergrund verschwinden. Mit der weitläufigen und selbstverständlichen Verwendung des Be-griffs »Klimawandel« können all diejenigen, die kein Interesse an den erforderlichen Emissionsreduktionen und an Klima-schutz haben, einen wichtigen Sieg verzeichnen. Denn sie ha-ben die Debatte zu ihren Gunsten geframed und es damit ge-schafft, von der brandgefährlichen und hochaktuellen Thema-tik abzulenken. Dadurch konnten sie weiterhin klimaschädlich-es Handeln legitimieren und sogar noch weiter subventio-nieren.

Es wird deutlich, dass es nicht nur wichtig ist, darauf zu achten, was thematisiert wird, sondern auch, wie es themati-siert wird. Was US-Konservative wie Luntz geschafft haben, ist die Festsetzung von beinahe unterbewussten Assoziationen und »Einrahmungen« eines Wortes, eines Faktes und einer Thematik in einem bestimmten Kontext. Sie haben die Debatte nach ihren Vorstellungen geframed.

»Framing bedeutet, einige Aspekte einer wahrgenom-menen Realität auszuwählen und sie [...] so hervorzuheben, dass eine bestimmte Problemdefinition, kausale Interpretation, mo-ralische Bewertung und/oder Handlungsempfehlung für den be-schriebenen Gegenstand gefördert wird«, schreibt der Politik-wissenschaftler Robert Entman in seinem Buch »Framing: Towards a Clarification of a Fractured Paradigm«. Das klingt kompliziert, ist im Prinzip aber einfach.

Frames, das sind – symbolisch gesagt – die Bilder-rahmen, in denen politische Ideen und Prinzipien verpackt sind.

Framing ist der Prozess einer Einbettung von Ereignissen und Themen in Deutungsraster, in mentalen Strukturen, die die Art und Weise prägen, wie wir die Welt sehen. In dem Prozess des Framings werden unterbewusste Assoziationen oder – symbo-lisch gesagt – »Einrahmungen« rund um ein bestimmtes Thema geschaffen und gefestigt. Auch die Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling beschäftigt sich mit politischem Framing und beschreibt, warum Frames Einfluss auf unser Denken neh-men können. Wehling legt dar, dass unsere Entscheidungen und die Ausbildung unserer Meinung zu großen Teilen von un-terbewussten Handlungen gesteuert werden. Unser Denken sei nur zu etwa 2% ein bewusster Prozess. 98% finde außerhalb un-serer bewussten Wahrnehmung statt. Diesen Umstand mache sich das Framing zugute. Auch wenn wir davon ausgehen, neu-tral und auf Basis von Fakten zu entscheiden, könnten wir nie rein faktenbasierte, rationale Entscheidungen treffen. Wir kön-nten nie nur sachlich und objektiv Fakten gegeneinander ab-wägen. Und an diesem Punkt setze das Framing ein. Frames bedingen unsere Entscheidungsfindung und unsere Einordnung von Fakten – so Wehling.

Ohne einen Frame könne das Gehirn Fakten keinen Sinn zuschreiben.

Ein Frame strukturiere die Wahrnehmung der Realität, der vor-liegenden Fakten auf eine bestimmte Weise. Auch könne ein Frame beeinflussen, welche Informationen bei der adressierten Person hängen bleiben und dabei helfen, Fakten einzuordnen und weiter zu verarbeiten.

Frames sind entscheidend, wenn es darum geht Werte, Forderungen und Anliegen weiterzugeben und zu etablieren. Deshalb sollten auch wir als Klimagerechtigkeitsbewegung Fra-mes effektiv nutzen. Durch Frames, die produktiv für die Kli-magerechtigkeit sind, kann ein Diskurs über das Klima entsteh-en, der Klimagerechtigkeit allgegenwärtig begreifbar macht, sodass sich das Thema in den Köpfen der Menschen verankert und schließlich seine Umsetzung findet.

Doch das geht nicht von heute auf morgen. Ein Frame braucht Zeit. Viel Zeit. Damit er sich in den Köpfen verankert, sind Monate und Jahre von Nöten. Deshalb ist es höchste Zeit, dass auch die Klimagerechtigkeitsbewegung so schnell wie möglich beginnt, nicht nur reaktiv, sondern proaktiv zu hand-eln und zu kommunizieren.

Es ist bedeutend, dass wir die Deutungshoheit über die Klimakommunikation von Konservativen und Kapitalist*innen zurückfordern und beginnen, die Debatte neu zu framen.

Denn im Umgang mit Frames steht die Klimagerechtigkeitsbe-wegung, stehen viele progressive Bewegungen, noch am An-fang.

Die Strategie der faktenbasierten Kommunikation, die viele eher linke Vereinigungen nutzen, funktioniert hier näm-lich nur gering. Die Annahme, Menschen würden selbst die richtigen Schlüsse ziehen und verstehen, auf welche Seite sie sich stellen müssten, wenn sie nur alle Fakten und die Sachlage gut kennen, hat sich leider nicht bewahrheitet. Denn ohne einen Frame kann Fakten keinen Sinn zugeschrieben werden. Ohne den Fakten einen Deutungsrahmen mitzugeben, werden sie schnell vergessen, negiert oder ignoriert. Stattdessen zeigt es deutlich mehr Erfolg einfache, klare Botschaften zu formu-lieren und mit eigenen Frames zu verbinden.

Im Juni 2020 hat Fridays for Future mit einer großen Kampagne zum sogenannten »Kohleausstieg« selbst ein sehr passendes Beispiel dafür geliefert, dass eigene Frames bisher nicht etabliert wurden. Denn dabei setzten wir von Fridays for Future auf die Vermittlung von reinen Fakten in langen Texten und Infografiken. Das ist wichtig, keine Frage, aber die Debatte zu framen, haben wir dabei versäumt. Wenn wir jetzt zurück-denken, kommen nicht Fakten über die katastrophalen und viel zu unambitionierten Entschlüsse der Bundesregierung in den Sinn. Sondern: der Kohleausstieg. Ausstieg. Und in jedem Satz schwingt er mit, immer wenn wir darüber sprechen, fräst sich irgendwo in unserem Hinterkopf die Verbindung zwischen den Schlagwörtern »Kohleausstieg«, »Bundesregierung« und »gut/

schnell« ein. Und das, obwohl der »Kohleausstieg«, der für 2038 angesetzt wurde, doch offensichtlich das Gegenteil ist.

Dieses Beispiel leitet weiter zu einem anderen wichtigen Framing-No-Go. Egal wann, wie oder wo: Es ist der größte Fehler, die Frames der Gegner*innen zu wiederholen, selbst wenn wir sie verneinen oder diskreditieren wollen. Denn ganz nach dem Motto »even bad publicity is publicity« wird ein Frame auch dann aktiviert, wenn er negiert wird, wie der US-amerikanischer Linguist George Lakoff erklärt. Die Verneinung sei schnell vergessen. Was bleibe und weiter in den Köpfen gefestigt werde, sei der ursprüngliche Frame der Gegner*innen. Wer sich also in Debatten mit den Gegner*innen-Frames ver-teidigt und so versucht, die Argumente des Gegenübers zu ent-kräften, schießt sich ins eigene Knie, da er (unbewusst) die vom Gegner gewählte Kommunikationsstrategie übernimmt und bestärkt.

Wir halten also fest: Es ist ungemein wichtig, die Kom-munikation der Klimagerechtigkeitsbewegung gut zu durch-denken, um gezielt Schwerpunkte zu setzen und den Fokus auf die von uns selbst gewählten Themen zu richten. Je mehr wir darauf Wert legen, desto nachhaltiger und effektiver kann unser Kampf für Klimagerechtigkeit sein.

Wenn wir genauer über die Sprache in der Klimabe-richterstattung nachdenken, können wir genauer formulieren und unsere Chancen steigen, dass wir die Debatten gewinnen.

Aber egal, wie sehr wir uns darum bemühen, eines dürfen wir nicht vergessen: Die Bedeutung der Medien. Grandiose Vor-arbeit und stundenlange Überlegungen sind sinnlos, wenn Fra-mes nicht aufgegriffen und in die Öffentlichkeit getragen wer-den. Nur wenn die von uns gewählten Frames auch in öffent-lichen medialen Diskursen dauerhaft präsent sind, erhält die Krise, in der wir uns befinden, die Aufmerksamkeit, die ihr gerecht wird. Um ein Reframing der Klimaberichterstattung zu bewirken, stehen auch und gerade die Medien in der Pflicht. Schon im Mai 2019 hat die britische Tageszeitung »The Guar-dian« beschlossen, auf Wörter wie den eingangs beschriebenen »climate change« zu verzichten. Stattdessen wurde in einem mehrseitigen Papier klare Regeln und Vorgaben für die Kom-munikation über die Klimakrise festgelegt. Als erste deutsche Zeitung ist die »taz« dem Beispiel gefolgt und legte einen jour-nalistischen Leitfaden zur Klimakommunikation vor. Diesem Beispiel sollten sich viele weitere renommierte Medien an-schließen, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Denn Menschen bilden sich Meinungen aufgrund der Berichterstatt-ung und Faktendarlegung der Medien und manifestieren ihre Meinungen in ihrer Wahl und politischen Teilhabe. Greifen Medien die Frames von Wissenschaftsleugner*innen auf, sind sie direkt und indirekt mitverantwortlich für fehlende klimapo-litische Maßnahmen und damit einhergehend auch für die Klimakrise.

Vor uns liegt noch viel Arbeit, bis wir die Deutungsho-heit über das Klima zurückerlangt haben. Bis dahin heißt es für uns: durchhalten, weitermachen und nicht leichtsinnig, son-dern wohlüberlegt kommunizieren.

Und vor allem: wir müssen es schaffen die Debatte über die Klimakrise nicht nur zu reframen – nein, wir müssen auch ganz neue Frames einbringen.

Es geht darum unsere Punkte proaktiv sowie eigenständig zu setzen und Aspekte einzubringen, die bisher noch im Hinter-grund stehen. Wenn wir über die Klimakrise sprechen, dann denken wir an schmelzende Polkappen, sterbende Eisbären und vielleicht Dürren oder Überschwemmungen, die anderswo oder irgendwann weit in der Zukunft passieren. Das müssen wir ändern. Unsere Aufgabe ist es zu zeigen, dass die Klimakrise nicht nur eine Natur- und Umweltkatastrophe ist, sondern auch eine soziale, eine humanitäre Katastrophe. Sie ist real und pas-siert im hier und jetzt. Unsere Aufgabe in der Klimakommuni-kation ist es, deutlich zu machen, dass diese Krise unbestreit-bar ist und schon heute vor allem die Menschen von ihr betrof-fen sind, die sie am wenigsten verursacht haben. Drei Viertel aller Emissionen, die je gemessen wurden, verantwortet der globale Norden.1

Die Menschen im globalen Süden sind jedoch schon jetzt stärker von den Auswirkungen wie Dürren, Stürme oder dem ansteigenden Meeresspiegel betroffen und können sich weniger vor ihnen schützen. Und auch hier in Deutschland werden bestehende Ungleichheiten durch die Klimakrise ver-stärkt, wie Jonas Asal vom Berliner Kipppunkt Kollektiv erklärt. Menschen mit geringerem Einkommen verursachen hier in Deutschland weniger Emissionen, seien aber gleichzeitig stär-ker von Umweltbelastungen wie etwa Verkehrsemissionen oder Fluglärm betroffen. Unsere Aufgabe ist es also zu verstehen, wie unterschiedlich Betroffenheiten zusammenhängen, einan-der überschneiden und auch widersprechen. Wir müssen die diskriminierenden Strukturen der Klimakrise aufzuzeigen und in unsere Frames einfließen lassen.

Das ist unsere Verantwortung in Zeiten der Krise. Die Mittel sind bekannt, die Ressourcen vorhanden – packen wir es an. Nutzen wir die Sprache, die den Ernst der Lage deutlich machen kann. Denn Sprache spiegelt nicht nur unser Denken und Handeln, sondern leitet es auch an. Reframen wir die De-batte! Gewinnen wir die Debatte und die Deutungshoheit zu-rück! Stoppen wir die Klimakrise!




ÜBER DEN AUTOR

Jonathan Auer ist seit Anfang 2019 Aktivist bei Fridays for Future in Landsberg und bundesweit. Dort ist er für die Pressekoordination und -strategie sowie für den Newsletter zuständig. 2020 war er zudem an einer Klima-Sonderausgabe der taz beteiligt.


Leseempfehlungen

George Lakoff: »The all new don’t think of an elephant – know your Values and frame the debate«, Chelsea Green, 2014

Elisabeth Wehling: »Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht.«, Herbert von Halem Verlag, 2016